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Seiðr – wirken wandeln weben

Was ist Seiðr?

Seiðr ist das altnordische Wort für Zauber.
Es bezeichnet verschiedenste magische und schamanische Praktiken in ihrer besonderen, altnordischen Ausformung.

In zahlreichen altnordischen Quellen wird Seiðr beschrieben. Es gab weissagenden Seiðr und welchen, um Kranke zu heilen. Seiðr, um Feinde zu verfolgen, sie auszuspionieren oder zu bekämpfen. Man nutze ihn, um Verborgenes zu finden oder um Glück anzuziehen. Auf der Jagd, im Kampf, beim Fischen, in der Landwirtschaft, beim Handeln vor Gericht oder bei der Geburt von Kindern sollte er für einen guten Ausgang sorgen.
Aus den Quellen wissen wir, das Seiðr sowohl zum Wohle als auch zum Schaden verwandt wurde. Dies ist wohl die Ursache für seinen etwas zweifelhaften Ruf. Der Wahrsage-Seiðr wie er in der Saga von Erik dem Roten (Eiríks saga rauða) beschrieben wird, ist sicher eine schamanische Praxis. In der Saga wird beschrieben wie eine Völva (Seherin und Zauberin), mit Hilfe von Gesang Geister ruft und von ihnen Information und Rat über die Zukunft erhält.

Aus den Beschreibungen zum Seiðr in den verschiedenen Sagas und anderen Texten wissen wir, das Seiðr verbunden war mit besonderen Bewusstseinszuständen, Geistwesen, Göttern und den verschiedenen Aspekten von Seele und Geist.

Neben dem Seiðr werden in den Quellen zumeist noch drei andere Formen des altnordischen Zaubers genannt, Galdr (Zaubergesang), Ùtiseta (draußen sitzen) und Gandr (Zauberwesen, Energie oder Zauberstäbe die ausgeschickt und wieder zurückgerufen werden). Insbesondere der Galdr ist mit dem Runenzauber eng verbunden. Alle drei Formen der Magie werden in den Quellen wiederholt als Bestandteile von Seiðr oder Seiðr-Ritualen beschrieben. Alle drei Kategorien haben auch schamanische Züge, wie Gestaltwandel, hilfreiche Geister, Gespräche mit Ahnen und anderen Verstorbenen. So kommt es das Seiðr manchmal als grundsätzlicher Oberbegriff für nordische Magie und nordische, schamanische Praxis verstanden wird und manchmal als eine von mehreren Formen nordischer Magie.

Völva - Seidhr

Wer praktizierte Seiðr?

Unter den Göttern gelten insbesondere Freya und Óðinn als Seiðr kundig. Außerdem Gullveigr/Heiðr, die den Seiðr zu den Menschen bringt.

Aus den Quellen kennen wir Frauen und Männer als Seiðr Praktizierende.
Für Männer galt es als unpassend und unehrenhaft Seiðr zu treiben. Dennoch nennen die Sagas mehrfach Männer als Seiðr-Wirkende . Diese werden Seiðmaðr (Zaubermann), Seiðberendr (Zauberträger oder Zauber-Gebärmutter) oder auch Vitki (Zauberer, Wissender) genannt.

Überwiegend war Seiðr wohl ein Gebiet der Frauen.
Die am häufigsten genannten Seiðr-Wirkenden sind die Völva (Stabträgerin/Zauberin/Seherin) und die Seiðrkona (Zauberfrau). Diese beiden Begriffe werden in den Sagas oft austauschbar auf ein und dieselbe Zauberin angewandt und können daher kaum sicher voneinander abgegrenzt werden.
Heiðr (Leuchtende) und Túnriða (Zaunreiterin) sind ebenfalls Bezeichnungen für weibliche Seiðr Wirkende.

Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Bezeichnungen für Männer und Frauen die Zauber oder Seiðr wirkten. Neil Price stellt in seinem Buch „The Viking Way: Magic and Mind in Late Iron Age Scandinavia“ eine sehr umfangreiche Liste zur Verfügung.

Über den Ursprung des Seiðr

In der Edda

Völuspa

In der Völuspa, der Weissagung der Seherin – in der Edda (Sammlung von mythischen, altnordischen Liedern und Texten über Götter und Helden) heißt es zum Ursprung des Seiðr:

Vers 21

Sie erinnert sich an den ersten Krieg,
Als Gold-Kraft-Trunk (Gullveigr)
feucht war an den Speeren.

Und in des Hohen Halle
Verbrannten sie sie;

Drei mal verbrannten sie,
die dreimal Geborene.
Oft, nicht selten
Immer noch lebt sie.

Vers 22

Sie wurde die Leuchtende (Heiðr) genannt,
wenn sie zu den Siedlungen kam,
die wohl weissagende Völva.

Sie konnte Zauber (Gandr) wirken,
Sie wirkte Seiðr, wo immer sie konnte.
Sie wirkte Seiðr auf die Sinne.

Sie war immer geliebt,
von den schlechten Frauen.

Seiðr kam also in die Welt durch eine göttliche Frau namens Gullveigr, was in etwa als „Gold-Kraft-Getränk“ übersetzt werden kann.
Gullveigr wurde in Óðinns Halle angegriffen, mehrmals getötet und wiedergeboren.
Diese Episode könnte eine Art Initiationsritus beschreiben, bei dem die Göttin Gullveigr ihre besondere Kraft der Auferstehung und Erleuchtung demonstrierte und danach unter die Menschen ging um diese ihren Seiðr, Zauber, zu lehren. Von nun an heißt sie Heiðr (Leuchtende).

Wiederholt heißen Zauberinnen und Seherinnen in der altnordischen Literatur Heiðr.
Mit Wissen, Heilung und Magie aufgeladene machtvolle Getränke die Erleuchtung und Erinnerung bringen, sind ein häufiges und wiederkehrendes Motiv in den nordischen Mythen. So im Havamal, im Sigrdrifumal, im Hyndlulióð, im Grímnismál und anderen. Möglicherweise war Heiðr ein ritueller Name für den heiligen Met.
Einige glauben, in Gullveigr und Heiðr Freya zu erkennen, die auch an anderen Stellen als erste Lehrerin des Seiðr genannt wird.
Zum Seiðr gehörte dann möglicherweise auch das brauen, anrühren und servieren von heiligen, magischen Zaubertränken.

Lokasenna

In der Lokasenna, spricht Loki über Seiðr:


Loki zu Óðinn:

Vers 24

Aber Du, sagt man, hast Seiðr gewirkt auf Samsey,
Wie eine Völva (Seherin/Zauberin) auf die Vétt geschlagen.
Wie eine Vitka (Wissende, Zauberin)
wandertest Du durch die Welt der Menschen,
und das erschien mir unmännlich (argr).

Dieser Vers ist spannend, da er Óðinn als Zauberer und Seiðr – Wirker nennt und darauf verweist, dass dies eher typisch für Frauen ist. Obwohl wir zahlreiche Quellen zu männlichen Zauberern und Seiðr-Wirkern haben, galt es wohl zumindest in späterer Zeit als unmännlich Seiðr zu wirken. Bemerkenswert ist daneben der Vorwurf des „Schlagen auf die Vétt“, was man mit Deckel übersetzen könnte. Die Forschung zur Vétt ist noch nicht abgeschlossen. Aber möglicherweise ist hier die Rede von einer Art Trommel, die von Völven, Zauberern und anderen Seiðr-Wirkenden geschlagen wurde, um den Bewusstseinszustand zu ändern.

In der Ynglingasaga

Snorri erzählt in der Ynglingasaga von Asen und Wanen, jedoch nennt er sie nicht Götter, sondern beschreibt sie als sagenhafte Vorfahren. Möglicherweise war es in dieser Zeit (13. Jahrhundert) aufgrund der weit fortgeschrittenen Christianisierung eine gute Idee, nicht mehr von fremden Göttern zu sprechen und ihre Mythen stattdessen in harmlosen Ahnen-Geschichten zu verbergen.

Er berichtet, wie Seiðr zu den Asen kam:

Njörds Tochter hieß Freya, sie war eine blótgyðja (Opferpriesterin), sie lehrte als Erste die Asen den Seiðr, so wie er bei den Wanen Brauch war.

Ebenfalls in der Ynglingasaga wird erzählt, welche mächtigen Zauber Óðinn beherrschte:
U.a. konnte er in der Gestalt eines Tieres reisen, während sein Körper lag und schlief. Er konnte in einem Moment in ferne Länder reisen, mit Worten alleine konnte er Feuer löschen, er sprach mit den Verstorbenen, konnte in die Erde und Berge sehen, kannte manches Zauberlied, konnte Glück und Stärke von Menschen nehmen und anderen geben. Er konnte in die Zukunft sehen und erkennen, was noch geschehen würde und vieles andere mehr.

Aufgrund dieser Mythen und Erzählungen gelten von den Göttern vor allem Freya und Óðinn als mit dem Seiðr verbunden.

In den isländischen Sagas

Auch den isländischen Sagas wird viel über Seiðr erzählt.
Magische Lieder und Gesänge (z.B. Seiðlæti oder Zauberton und Vardlokkur – Schutzgeistlockung) spielen dabei eine große Rolle, ebenso wie das Motiv des Spinnens und erhöhte Sitze oder Podeste, die Seiðhjallr.

In den Rechtsvorschriften

In norwegischen und isländischen Rechtsvorschriften des 13. und 14. Jahrhunderts wird Seiðr noch erwähnt und selbstverständlich verboten und unter Strafe gestellt. Auch wenn wir dort nichts zur Praxis des Seiðr erfahren, so zeigt es doch das, das Konzept des Seiðr auch im Mittelalter und nach der Christianisierung noch vorhanden war und wohl auch (verbotener Weise) praktiziert wurde.

Zur Etymologie von Seiðr

Die Etymologie des altnordischen Wortes Seiðr ist noch nicht abschließend geklärt.
Es werden verschiedene Ansätze diskutiert:

Ein Vorschlag ist es zur Wortwurzel sei- = singen zu stellen. Andere sehen eine Verbindung zu Finnisch „soida“ = klingen und „soittaa“ = auf einem Instrument spielen und halten eine Einwanderung aus dem finnugrischen Sprachraum in das Indogermanische für möglich. Dies passt dazu, dass in den Quellen Finnen und Sami oft als mächtige Seiðr-Praktizierende genannt werden.

Eine andere Theorie ist die Herleitung aus dem Protogermanischen von *saithaz (Magie, Zauber, Strick, Band, Saite), das wiederum vom indoeuropäischen *soytós (Magie) und dem noch älteren Proto-Indoeuropäischem *seyt abstammen könnte.

Die Mütter des Zaubers – Die Frauen des Saithaz

Matronen oder auch Matres und Matrae, ehrenvolle Frauen oder Mütter, wird eine Gruppe von Muttergöttinnen genant denen im 1. – 5. Jahrhundert sowohl in keltischen als als auch in germanischen Gebieten geopfert wurde. Dieser Kult fand seine Verbreitung vor allem in den römisch besetzten Gebieten. Der Ursprung des Matronenkultes und der genaue Inhalt sind nicht ganz klar. Die Forschung geht jedoch davon aus, dass die Ursprünge nicht römisch sind, sondern jeweils regionalen, einheimischen Bräuchen und Vorstellungen entsprangen, wie diese eben auch im späteren Glauben an Disen, Nornen und Walküren sichtbar werden.

In den verschiedenen, erhaltenen Inschriften und Matronennamen erschließt sich das der Nothilfeaspekt und ihre Rolle als Beschützerinnen überwiegt. So wurden sie wohl vor allem angerufen für den Schutz der Familie, Fruchtbarkeit und Geburtshilfe. Die vom Schriftsteller Beda erwähnte Mutternacht (Modraniht) bei den Angelsachsen und das Disenopfer in Skandinavien könnten für ein Fortleben des Matronen-Kultes sprechen.
Auch die zahlreichen Drei-Jungfrauen Kulte in der Zeit nach der Christianisierung, lassen sich als Fortbestehen dieses Kultes deuten.

Im Bezug auf Zauber, Seiðr und Saithaz (gemeingermanisch Zauber) sind sie spannend da aus dem 3. Jahrhundert nach Christus aus Hoven, südwestlich von Köln, zwei Weihesteine an Matronen namens Saitchamiae oder Saithamiae erhalten sind.
Es gilt als sicher das die Inschrift und die Saitchamia-Matronen germanischen Ursprungs sind. Saith- oder Saitch- bedeutet Zauber. Zusammen mit der Endung wird ihr Name überwiegend interpretiert als „diejenigen die Magie wirken oder aussprechen“ oder als „diejenigen die bösen Zauber binden und blockieren“.
Die Saitchamia-Matronen können daher als Göttinnen, edle Frauen oder Mütter des Zaubers angesehen werden.

Die Idisen als hehre Mütter

Vielleicht muss man auch die Idisen aus dem 1. Merseburger Zauberspruch in diesem Kontext sehen. Die Merseburger Zaubersprüche sind uralte, vorchristliche Zaubersprüche. Sie sind die einzigen althochdeutschen Textzeugnisse rein heidnischen Inhalts und geben daher einen für uns heute einmaligen Einblick in die damaligen Vorstellungen von Zauberglaube und Magie. Aktuell gehen die meisten Forscher von einer Entstehung der Sprüche im 8. Jahrhundert aus. Es ist gut möglich, dass sie auf wesentlich ältere Wurzeln zurückgehen.

Text des ersten Merseburger Zauberspruchs:

Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder.
suma hapt heptidun, suma heri lezidun.
Suma clûbôdun, umbi cuoniouuidi:
Insprinc haptbandun, inuar uîgandun,
inuar uîgandun!

Aussprache:

Eris sazun Idisi, sazun hera du-o-der.
Suma Haft heftidun, suma Heeri lezidun.
Suma klubodun, umbi Kwoniowidi:
Insprink Haftbandun, infahr Wigandun!

Übersetzung:

Einstmals setzten sich Idisen,
setzten sich hierhin und dorthin (oder setzten sich hehre Mütter (1)
Einige hefteten Hafte, (fesselten die Feinde)
Andere hemmten das (feindliche) Heer,
andere nesteln an festen Fesseln (befreien die Gefangenen).
Entspring den Banden, entweich den Feinden.

Andere Lösezauber in den nordischen Quellen

Vergleichbar sind hierzu auch Zauberlieder, die in der poetischen Edda genannt werden, z.B. im Vers 10 aus dem Groagaldr, dem Zauberlied der Groa. Darin singt die Völva Groa Zauberlieder für ihren Sohn Swipdag. Dieser beschwor seine Mutter aus dem Grabhügel, damit sie ihm bei einer schwierigen fast unerfüllbaren Aufgabe hilft.

Den sing ich dir zum fünften,
wenn dir eine Fessel
um die Glieder gelegt wird,
Lösezauber werde ich Dir über die Schenkel sprechen,
so springt das Band von den Gliedern.

Oder mit dem Havamal, den Sprüchen des Hohen spricht Odin über die verschiedenen Zauberlieder, die er kennt, in Vers 149:

Einen Vierten kenn ich,
wenn mir Männer Fesseln an die Glieder legen:
Dann sing ich, dass ich gehen kann,
von den Füßen springt mir die Fessel, von den Händen das Band.

Lösezauber und magische Bande

Sprüche zum Lösen von Fesseln waren scheinbar im nordisch-germanischen Raum allgemein verbreitet. Die Literaturwissenschaft geht meist davon aus, dass es sich hier um Zauber handelt, die ganz reale Fesseln lösen sollen, in der schamanisch-magischen Praxis habe ich jedoch festgestellt, dass sich diese Sprüche auch eignen um Fesseln im eher übertragenen oder magischem Sinn zu lösen.

Dies passt wiederum sehr gut, zu all den sprachlichen Verbindungen von Seiðr, die ich im Absatz über die Etymologie beschreibe.
Seiðr und Saithaz als Gesang, als Wirken mit magischen Banden, Schnüren und Fesseln, als Magie und Zauber überhaupt.

Ganz praktisch lassen sich meiner schamanisch-magischen Erfahrung nach, mit dem ersten Merseburger Zauberspruch, unerwünschte Bande und Verknüpfungen loswerden. Er lässt sich gut zum Durchtrennen unguter Verbindungen, wie zum Beispiel zum Ex-Partner, zum Lösen von Seelenverträgen, Zaubern und anderen Banden nutzen.

Magische Geist- und Seelenfrauen

Die Idisen des Merseburgerzauberspruchs sind wahrscheinlich identisch oder zumindest verwandt mit den Disen aus den nordischen Mythen.

Altnordisch dís (sg.), disír (pl.). Die Disen sind eine Gruppe von weiblichen Gottheiten oder Geistern und oft als den Fylgjur (weiblichen Schutzgeistern) ähnlichen Traumfrauen, oder auch als walkürenhafte Totenführerinnen beschrieben. Häufig sind sie verbunden mit Zauber, Weissagung, Gestaltwandel usw..
Die Walküren werden im Guðrúnarkviða (ein Lied der poetischen Edda) als Herjans dísir, also als Odins Disen, bezeichnet.

Aus den isländischen Sagas sind zudem besondere Festlichkeiten (Disirblot, Disthing) überliefert.

In Uppsala hat es laut Berichten von Snorri einen Tempel für die Disen gegeben, die Dísarsalr (Halle der Disen). Etliche skandinavische, insbesondere schwedische Ortsnamen tragen die Silbe „Dis“ im Namen, was für einen sehr lebendigen Kult spricht.
Daneben gibt es Erwähnungen, dass die Disen die Seelen verstorbener (Ahn?)Frauen sind. Denkbar ist auch, dass die Silbe „dís“ ganz allgemein für Frau oder für Göttin steht, zum Beispiel bei „Vanadís“ (für Freya) oder „Öndurdís“ (für Skadi).


Eine Verwandtschaft von Disen und Disenkult mit dem Matronenkult, den Nornen, Walküren, den Neun Maiden und den Fylgjur (weibliche, nordische Schutzgeister) ist denkbar und ich betrachte sie als wahrscheinlich.
Eventuell hat sich hier auf sehr unterschiedliche Weise der ältere, gemeinsame Glauben an eine Gruppe von Göttinnen manifestiert und erhalten.
Die Nennung der Idisen und deren Verbindung zum Matronenkult, macht auch die Übersetzung von Gerhard Eis im ersten Merseburger Zauberspruch „setzten sich hehre Mütter“ sehr wahrscheinlich.

Mit den Saithamiae des 3. Jahrhunderts, den magiewirkenden Idisen aus dem 8. Jahrhundert und den Göttinnen des Seiðr wie Freya und Heiðr, lässt sich zumindest ein spekulativer Bogen spannen, zwischen Seiðr und Saithaz – als magisches Wirken mit Gesang, Zauberbanden, heiligen Tränken, mit Geistwesen, Zauber-Göttinnen und Schutzgeistern.

Heutiges Seiðr – Saithaz – nordischer Schamanismus – Zaunreiten

So wie ich Seiðr verstehe, ist es eine Form des Wirkens in Trance, um magische Bande und Energien zu etwas Neuem zu verzwirnen, zu knüpfen und zu verweben. Diese Bande können aus Klängen bestehen, aus Zutaten in Tränken, aus magischen Worten und Runen oder tatsächlichen Banden, Fasern und Fäden. Götter, Geister und Ahnen lehren das notwendige Wissen.

Beim Seiðr werden die Bande zwischen den Wirklichkeiten, zwischen Menschen und Geistwesen, zwischen Schicksal und Seele, zwischen Willen und Geschick für den Wirkenden sichtbar. Und und manchmal werden sie auch neu geordnet oder gewandelt.

Wir können heute keinen authentischen Seiðr (und schon gar keinen Saithaz) rekonstruieren und leben. Denn die Unischerheiten in der Interpretation sind zu groß, auch die zeitlichen und regionalen Unterschiede in den Quellen sind zahlreich und es scheint keine sichere, durchgängige Überlieferung zu geben.

Darüber hinaus haben wir als heutige schamanisch Wirkende, Heiden, Hexen, Zaunreiter oder wie auch immer wir uns nennen mögen, auch einen etwas anderen Anspruch an Zauber, Magie und Spiritualität. Unser Leben, unsere Sorgen, unsere Sozialisation, unsere Kenntnis zu Mythen, Geistern und Göttern – all das ist ganz anders als bei den Menschen vor 1000 und mehr Jahren.
So steht in meinem heutigen Seiðr-Wirken ganz klar der Wandel zum Wohle im Zentrum, auch wenn dies in der Vergangenheit des Seiðr möglicherweise nicht immer und für alle Praktizierenden galt.

Dennoch lässt sich aus den Überlieferungen, den Mythen, den Überresten in Erzählungen und anderen Quellen Inspiration und Erkenntnis gewinnen, die hilft einen heutigen, zeitgemäßen Seiðr zu entwickeln und zu leben.
Ich spreche da meist vom „nordischem Schamanismus“, von „Zaunreiten“ oder auch vom Seiðr, denn für mich sind diese Begriffe kaum zu trennen.

Was gehört für mich zum heutigen Seiðr dazu?

Seelenflug und Kontakt mit Göttern, Geistern und Ahnen
und Unterweisung durch sie.
Das Wirken und Weben zum Wohle mit magischen Gesängen und Worten.
Vardlokkur, Galdr und Seiðlæti
Runenkunde und Runenzauber
Die Kenntnis um magische Bande und Schnüre
Zaubertrank und heiliger Met
Gandr – magische Wesen, Energien und Stäbe, die ausgeschickt und wieder zurückgeholt werden können.
Útiseta – das Draußen-Sitzen, Seelenflug und Visionspraxis draußen in der Natur oder an besonderen Orten, außerhalb von Haus, Stadt und Garten.
Spá – Weissagung, Orakel

Kann man Seiðr auch anders verstehen?

Aber ja, die Meinungen zum Seiðr, was dazu gehört, was nicht, wie es praktiziert werden sollte und wie es wirklich einst war, gehen auseinander und es kommt im Detail immer darauf, an wen man fragt.
Dies gilt unter heutigen Seiðr-Praktizierenden aber auch in der Forschung und vielleicht war das auch schon vor mehr als tausend Jahren so.

Galdr

Literaturhinweise zum Seiðr

Kurse und Ausbildungen im schamanisch – magischen Wirken: https://wyrd.tunritha.de/s/Tunritha

Baumgarten, Anette. Nordischer Schamanismus – der Ruf der Geister. Freya Verlag. (2021)

Price, Neil. The Viking Way: Magic and Mind in Late Iron Age Scandinavia. Oxbow Books; 2. Edition (2019)

Simek, Rudolf: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 4., vollständig durchgelesene und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart (2021)

Sturluson, Snorri. Heimskringla, Ynglingasaga. 3. Auflage. Marixverlag, Wiesbaden (2015)

Kvilhaug, Maria: The Seed of Yggdrasill. Whyte Tracks Publishing, Denmark (2017)

Die ältere Edda (Völuspa und Lokasenna)

Tolley, Clive. The hunting of the vétt: in search of the Old Norse shamanic drum
(2016)

https://de.wikipedia.org/wiki/Sei%C3%B0r
Abgerufen am 30.09.2021

https://norse-mythology.org/concepts/seidr/
Abgerufen am 30.09.2021

Heide, Eldar. Spinning Seiðr. In Old Norse Religion in Long-Term Perspectives: Origins, Changes and Interactions. Edited by Anders Andrén, Kristina Jennbert, and Catharina Raudvere. (2006)

Heath, Catherine, OUT OF THE WATERS BENEATH THE TREE, One Potential Origin of the Seiðrworker
http://heathenwomenunited.org/wp-content/uploads/2018/08/OUT_OF_THE_WATERS_BENEATH_THE_TREE_One_P.pdf

Svenson, Rig. The Chicanery of Seiðr (2015)

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